Fuchs hatte danach versucht, Kunden und Lieferanten zu finanziellen Zugeständnissen zu bewegen. Die Verhandlungen waren am Dienstag gescheitert, nachdem sich die
Scandlines als derzeit wichtigster Vertragspartner geweigert hatte, kurzfristig für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Scandlines hatte dies damit begründet, dass die Werft ungenügende Informationen über den Bausachstand für zwei fast fertiggestellte Ostseewerften geliefert habe.
Sogar die Kanzlerin war nach Stralsund gekommen. Schließlich ist es ihr Bundestagswahlkreis. Auch Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) waren dabei, als die Mitarbeiter der P+S Werften in Stralsund und Wolgast am Dienstag über die Lage des Unternehmens informiert wurden. Dass diese nicht gut ist, wussten sie im Grunde schon seit April - seit keine Schiffe mehr ausgeliefert wurden. Auch die Landesregierung wusste, dass aus der Krise bei den P+S Werften das werden konnte, was sie eine „Katastrophe für das Land“ nennt.
Seit der Wiedergründung des Landes Mecklenburg-Vorpommern 1990 haben die Werften die Politik begleitet. Erst ging es darum, die Werften über die Treuhand zu privatisieren. Als das geschehen war, kriselte es mal in dem einen, mal in dem anderen Unternehmen. Dann kam noch ein handfester Betrug hinzu, damals bei der Vulkan-Werft. Die Politiker im Nordosten wissen also: Wenn schlechte Nachrichten aus einer der fünf großen Werften im Land kommen, dann geht es immer gleich um alles.
Anfang August hatte die Geschäftsführung bei P+S gewechselt. Es kam der in Krisen erfahrene Rüdiger Fuchs als Nachfolger von Dieter Brammertz, der seit 2010 die Umstrukturierung der früheren Hegemann-Werften geleitet hatte. Brammertz war in die Kritik geraten, als bekannt wurde, dass die Werften staatliche Beihilfen in Höhe von 152 Millionen in Anspruch nehmen mussten. Ministerpräsident Sellering beauftragte Fuchs, dem es bei Airbus gelungen war, die Probleme mit dem Großraumflugzeug A380 zu lösen, rasch ein ungeschminktes Lagebild zu geben. Dieses Lagebild sah dann noch schlimmer aus, als es sich die Landesregierung hatte vorstellen können. Im Juni erst hatte das Land alles versucht, um mit Hilfe des Bundes und genehmigt von der Europäischen Kommission die benötigten 152 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Das war die größte Beihilfe, die es in Mecklenburg-Vorpommern je gegeben hat. Freilich sollte das Geld nur zur Überbrückung dienen. Die Werften sollten ihre Aufträge erledigen, ihre Schiffe verkaufen und wieder liquide sein.
Mitarbeiter am Boden zerstört
Die Spätschicht-Belegschaften der beiden Standorte nahmen die Nachricht von der Insolvenz mit großer Enttäuschung auf. „Die Leute sind am Boden zerstört und total wütend“, sagte der Stralsunder Bevollmächtige der IG Metall Küste, Guido Fröschke, am Montag der Nachrichtenagentur dapd in Stralsund.
„Die Insolvenz ist ein schwerer Schlag für die ganze Region“, unterstrich Fröschke. Betroffen seien nicht nur die etwa 1150 Mitarbeiter am Stralsund und die rund 600 Beschäftigten am Peenestrom. Die Pleite werde Auswirkungen für insgesamt 5000 Menschen haben, darunter Leiharbeiter und Servicekräfte.
Der Unmut der Schiffbauer richte sich vor allem gegen die vor knapp drei Wochen abgelöste Geschäftsleitung, die nach Angaben des neuen Werftchefs Rüdiger Fuchs zu viele Neukonstruktionen in zu kurzer Zeit vorgenommen habe. Die Verantwortung dafür trage aber auch das Land, das mit zwei Vertretern im Beirat der Werft vertreten gewesen sei und den Kurs abgenickt habe.
Im Auftragsbuch der P+S Werften in Stralsund und Wolgast standen bislang Spezialschiffe mit einem Gesamtvolumen von mehr als einer Milliarde Euro. Damit wären die Volkswerft Stralsund und die Peene-Werft Wolgast bis Mitte 2013 komplett ausgelastet.
Die Stralsunder Werft habe allerdings seit April 2011 kein Schiff mehr ausgeliefert, alle Liefertermine hätten verschoben werden müssen, räumte Geschäftsführer Fuchs ein. Bis Ende des zweiten Halbjahres 2013 sollen nun die in Auftrag gegebenen Fähren sowie eisgängige Frachtschiffe für Royal Arctic ausgeliefert werden. Weitere Schiffe sollen geprüft werden, bevor sie in die Produktion gingen. Dazu gebe es einen genauen Plan von Schiffsneubauten und Neukonstruktionen.
Die Hoffnungen der etwa 1750 Beschäftigten richteten sich nun darauf, dass der Betrieb erst einmal weitergehe, sagte der Gewerkschafter Fröschke. Jetzt müsse es dem Insolvenzverwalter gelingen, neue Investoren für die zwei traditionsreichen Werften zu finden, die möglichst viele Arbeitsplätze erhalten müssten.
Einst arbeiteten 52.000 Leute im Schiffbau - heute noch 4000
Vor P+S waren es die Werften in Rostock-Warnemünde und Wismar gewesen, die 2009 Insolvenz anmelden mussten. Das Land gründete eine Auffanggesellschaft für die Beschäftigten. Auch hier flossen Steuergelder in Millionenhöhe. Die Werften heißen inzwischen Nordic Yards und machen gute Geschäfte. Zwar hatte jede Werftenkrise in Mecklenburg-Vorpommern mit der anfälligen Entwicklung im Schiffbau zu tun, aber es gibt auch tiefere Ursachen. Zum einen sind die Werften in Wismar, Warnemünde, Stralsund und Wolgast DDR-Gründungen beziehungsweise Gründungen der sowjetischen Besatzungsmacht. Keine der Werften war weltmarktfähig. Einst arbeiteten 52.000 Leute im Schiffbau, heute sind es noch 4000. Die zwei Jahrzehnte Schiffbau nach dem Ende der DDR waren, wie es die „Schweriner Volkszeitung“ schrieb, „permanente Hilferufe nach dem Geld der Steuerzahler“.
Zum anderen aber gehören die Werften zu den wenigen industriellen Kernen, die es im Land überhaupt gibt. Geht P+S zugrunde, trifft das nicht nur die knapp 2000 Arbeitsplätze in den Werften, sondern auch die Zulieferer und damit wohl noch einmal so viele Arbeitsplätze. „Wir dürfen die industriellen Kerne nicht aufgeben“, hat Wirtschaftsminister Glawe schon klargestellt. Die Werften werden also weiterhin die Unterstützung der Politik bekommen - „soweit wir das können“, wie die Kanzlerin in Stralsund hinzusetzte. Sie habe in den vergangenen Jahren viel erlebt, was die Mitarbeiter geleistet hätten. „Es ist eine tolle Truppe, umso mehr ist es natürlich ein schwerer Tag heute gewesen.“