Der Prozess läuft seit Saisonbeginn, es ist der Umbau einer außergewöhnlich erfolgreichen Mannschaft durch einen außergewöhnlich erfolgreichen Trainer. Am Ende des Prozesses soll die Bayern-Mannschaft die Spielphilosophie Pep Guardiolas verinnerlicht haben, doch das Problem ist: Bis es soweit ist, muss sie so erfolgreich spielen wie zuvor. Unentschieden beim SC Freiburg sind genauso wenig vorgesehen wie die erschreckende Anfälligkeit für gegnerische Konter. Oder Niederlagen in Supercupfinals.
Die Bayern haben auch in Prag klargemacht, dass der Prozess noch lange nicht zu Ende ist. Es gab gerade in der ersten Halbzeit Momente, in denen Chelsea mit schnellem Umschalten fast spielerisch leicht zu Chancen kam, während das Bayernspiel zwar recht flüssig, aber auch wenig zielgerichtet wirkte. Ballbesitz ohne Raumgewinn, das erinnerte zeitweise sehr an die Bayern unter Louis van Gaal, Chelsea dagegen wirkte beim frühen 1:0 durch Fernando Torres wie eine Kopie der gnadenlosen Heynckes-Truppe der vergangenen Saison.
Auf Franck Ribéry ist derzeit Verlass
Guardiola stand derweil an der Außenlinie und schüttelte den Kopf. Dann wieder lehnte er gedankenverloren an der Bande, nur um wenig später aufzuspringen, seinem Team lautstark Anweisungen zuzurufen und dabei wild mit den Armen zu gestikulieren. In siegreichen Spielen ist das die Symbolik des Souveränen, des Antreibers, aber beim Stand von 0:1 kann es auch hilflos wirken.
Zum Glück können sich die Bayern im Umbauprozess auf einen Mann verlassen, der in der vergangenen Saison maßgeblich zum Triple beitrug, dann zum besten Fußballer Europas gewählt wurde und schließlich gegen Chelsea für den Ausgleich sorgte: Franck Ribéry. Der Franzose trägt die Bayern in diesen Wochen fast allein, sein 1:1 kurz nach der Pause war sehenswert, sein Jubelsprint Richtung Guardiola im Anschluss aber symbolträchtig. "Mein Tor war für ihn. Es war nicht einfach für ihn", so Ribéry bei "Sky", schließlich habe die Mannschaft im vergangenen Jahr alles gewonnen.
Es war eine Geste, wie man sie in der Bundesliga häufiger zu sehen bekommt, aber hier in Prag stand sie für mehr. Trainer und Team wachsen zusammen, auch der Motivationskreis in der Halbzeit der Verlängerung war sichtbares Zeichen dafür. Toni Kroos jedenfalls berichtete in der Mixed Zone nach Spielende, dass die Mannschaft Guardiolas Idee vom Fußball verstanden habe. "Heute war er mit dem Spiel sicher zufrieden, wir waren sehr dominant und haben viele Chancen herausgespielt."
Kroos war die Freude über den Titel anzusehen, dem ersten Supercup in der Bayern-Geschichte. Aber da war auch Genugtuung darüber, "dass sich unser Fußball durchgesetzt hat und nicht der von Chelsea", so Kroos, der das überharte Spiel der Engländer deutlich kritisierte. Für Thomas Müller bestand die Genugtuung vor allem darin, Revanche für das verlorene Champions-League-Finale von 2012 genommen zu haben. "Diesmal schießen wir in letzter Sekunde das Tor und gewinnen das Elfmeterschießen", sagte Müller. Vor einem Jahr hatte noch Chelsea kurz vor Ende der regulären Spielzeit ausgeglichen und dann im Elferschießen triumphiert.
Selbst Sammer, sonst beim Titelfeiern der zurückhaltende Prozessbeobachter, wirkte nach dem Erfolg berührt. Erst umarmte er Guardiola noch auf dem Platz sehr lange, dann lief er, den Arm auf der Schulter des Spaniers, mit diesem zum Siegerfoto. Beide sind sich sehr ähnlich, sowohl in ihrer Rücksichtslosigkeit sich selbst gegenüber als auch der Unerbittlichkeit, mit der sie sich dem Erfolg verschreiben. "Ich schätze sehr, mit welcher Intensität der Trainer mit der Mannschaft arbeitet. Das nötigt mir großen Respekt ab", sagte Sammer. Ein Scheitern in Prag hätte er deshalb "unendlich bedauert".
Wer sah, wie Pep Guardiola nach dem Schlusspfiff jeden Spieler, die Betreuer, Masseure und jeden weiteren Menschen, der nicht rechtzeitig auswich, innig umarmte, kann sich vorstellen, was Sammer meinte.